Strom zu 100% erneuerbar – wie funktioniert das?

Einleitung

Angesichts der Bestrebungen, das Stromsystem und die Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien umzustellen, stellt sich die Frage: Wie soll das gehen?

Gute, verständliche Informationen zur Energiewende finden Sie unter anderem bei folgenden drei Autoren.

Jan Hegenberg (Autor des sehr empfehlenswerten Buchs „Weltuntergang fällt aus“) erklärt in einer 6-teiigen Artikelreihe sehr anschaulich und mit Fakten unterlegt, wie ein Energiesystem aus 100% Erneuerbaren funktioniert. Auf seinem Blog „Der Graslutscher“ finden Sie stets aktuelle Faktenchecks und Meldungen.

Volker Quaschning ist Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Auf seiner Website und seinem Youtube-Kanal veröffentlicht er Vorträge und Artikel zu einem breiten Spektrum an Enegiethemen. Wer kurze, überzeugende Videos auch zu Alltagsthemen und einfach verständliche Vorträge über die Zusammenhänge von Energiesystemen und über Technologien sucht, ist bei ihm richtig.

Dirk Specht ist nach einem vielfältigen Arbeitsleben als Chefredakteur, Geschäftsführer und Vorstand in den Branchen Medien, IT/Internet und Finanzdienstleistungen nun in Wissenschaft und Lehre im Bereich VWL/Medienökonomie sowie in verschiedenen Aufsichtsratsmandaten tätig. Auf seinem Blog finden Sie stets aktuelle Zahlen und Artikel über die wirtschaftlichen Aspekte der Energiepolitik. Er nimmt dort auch Stellung zu Falschinformationen und deckt Hintergründe auf. Wer sich näher mit Zahlen befassen will, ist hier richtig.

Energiequellen

Der Stromverbrauch im Jahr 2022 lag in Deutschland bei 484,2 TWh. In Zukunft wird dieser durch Elektrifizierung deutlich steigen.

Welche Energiequellen kommen für Deutschland eigentlich in Frage? Die Stromerzeugung setzte sich 2022 im Groben wie folgt zusammen:

EnergiequelleArtAnteil 2022Zukunft
WindkraftErneuerbar23%Starker Ausbau
PhotovoltaikErneuerbar11,5%Starker Ausbau
BiomasseErneuerbar7,5%Eventuell Verschiebung
hin zu Biogas
WasserkraftErneuerbar3,4%Stagnierend bis Rückläufig
KohleFossil19,5%Ausstieg geplant 2030
ErdgasFossil7,8%Ausstieg notwendig
MüllSonstige1,4%Stagnierend
KernenergieSonstige1,2%Vorerst keine
WasserstoffSonstige0,0%Steigend
FusionskraftwerkeSonstige0,0%Vorerst keine

Zusammengefasst kann gesagt werden:

  • Die letzten Kernkraftwerke wurden in Deutschland im Jahre 2023 abgeschafft, und in absehbarer Zukunft wird Kernkraft in Deutschland keine Rolle spielen (abgesehen von Stromimporten)
  • Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist notwendig und der Grund für die Energiewende
  • Wasserstoff ist ein Energieträger, keine Energiequelle – alleine dieses Thema kann eine weitere Seite füllen
  • Müll, Wasserkraft und Biomasse sind kaum ausbaubar
  • Fusionskraftwerke gibt es noch nicht wirklich, und wird es in den nächsten Jahrzehnten nicht geben

Als ausbaufähige Energiequellen für ein zukünftiges Stromsystem bleiben: Windkraft und Photovoltaik!

Ergänzung von Windkraft und Photovoltaik

In Deutschland gibt es ungefähr drei Monate im Jahr, in denen recht zuverlässig kaum Erträge durch Photovoltaik zu erwarten sind. Das ist die Zeit von der zweiten Novemberhälfte bis zur ersten Februarhälfte. Zusätzlich kommt noch die Nacht hinzu. Anders sieht es bei der Windkraft aus: Wind weht auch in der Nacht, und im Herbst und im Winter weht Wind im Schnitt gefühlt stärker als im Sommer.

Diese Beobachtungen lassen sich durch Messungen bestätigen:

Die Grafik des Fraunhofer-Instituts zeigt sehr eindrücklich, dass Windenergie im Jahr 2018 in den Wintermonaten überdurchschnittlich viel Strom erzeugt hat. Photovoltaik hingegen lieferte im Winter sehr wenig, und zeigte seine Stärken im Sommer.

Germany Electricity Generation from Wind and Solar - es wird gezeigt, wie sich in den Jahren 2011 bis 2016 Windkraft und Photovoltaik saisonal ergänzt haben. Im Winter liefert Windkraft überdurchschnittlich viel Strom, während Photovoltaik im Sommer überdurchschnittlich viel Strom liefert.

Dies lässt sich in jedem Jahr beobachten, daher hier noch eine Grafik für die Jahre 2011 bis 2016.

Reicht das schon für das Stromsystem der Zukunft?

Die Energieerzeugung aus Wind und Photovoltaik reicht heutzutage noch nicht aus, um den Strombedarf zu decken. Es kommt hinzu, dass im Zuge der Energiewende ja nicht nur der aktuelle Strombedarf gedeckt werden soll, sondern durch die Elektrifizierung von Gebäudewärme, Verkehr und Industrieprozessen ein starker zusätzlicher Strombedarf entsteht.

Zubau von Windkraft und Photovoltaik

Daher wird es einen starken Zubau von Windkraftanlagen und Photovoltaik geben müssen, um die hier beschriebene Idee zu verwirklichen:

  • Installation zusätzlicher Photovoltaikanlagen auf Gebäudedächern aller Arten
  • Identifikation von Freiflächen für Photovoltaik, z.B. landwirtschaftlich nicht nutzbare Hänge und Agri-PV
  • Nutzung bisher ungewöhnlicher Orte wie z.B. Straßenränder für Photovoltaik
  • Ersatz bestehender Windkraftanlagen durch aktuelle, leistungsfähige Modelle (Repowering)
  • Ausweisung und Verwendung zusätzlicher Flächen für Windkraftanlagen (Windvorranggebiete)
  • Windkraftanlagen im Meer (Offshore-Windkraft)

Überwindung der Dunkelflaute

Wer sich duch interaktive Grafiken wie z.B. die von https://energy-charts.info/ arbeitet, oder geeignete Grafiken aus anderen Quellen bezieht, wird feststellen, dass es in Deutschland durchaus Tage gibt, in denen Windkraft und Photovoltaik sich nicht gegenseitig so perfekt ergänzen, wie dies in den oben gezeigten Grafiken der Fall ist (das ist mit dem Begriff „Dunkelflaute“ gemeint: Nachts scheint keine Sonne auf die Photovoltaik, und der Wind weht auch nicht). Es gilt dort aber auch: Die Erzeugung fällt nie auf Null! Es gibt einige Möglichkeiten, trotz der sogenannten Dunkelflaute ein stabiles Stromsystem zu gewährleisten:

  • Stromimporte aus dem Ausland
  • Zugriff auf Batteriespeicher
  • Synthesegas (entspricht chemisch gesehen Erdgas, ist aber aus Strom erzeugt)
  • Importierter Wasserstoff (der dann hoffentlich klimaneutral erzeugt wurde)
  • Wasserstoff aus Elektrolyse in Deutschland
  • Weiterer Ausbau von Photovoltaik und Windkraft, denn wie gesagt – die Erzeugung ist nie Null

Und nicht zu vergessen: Energieeffizienz

Am Ende wird es eine Mischung aus allen diesen Möglichkeiten werden. Hier muss abgewogen werden, wie möglichst wirtschaftlich ein hohes Maß an Versorgungssicherheit hergestellt werden kann.

Unterschiedliche Speicherarten

Batteriespeicher

Batteriespeicher sind derzeit auf Basis des teuren Rohstoffes Lithium aufgebaut, daher sind sie recht teuer, und die mögliche Kapazität ist dadurch und durch den Platzbedarf sehr begrenzt. Zum Thema „Rohstoff“ ist allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen – es wird in Zukunft auch Batteriespeicher mit einfacher zu beschaffenden Rohstoffen geben – einen detailierten Artikel hierzu gibt es vom Fraunhofer-Institut: https://www.isi.fraunhofer.de/de/presse/2023/presseinfo-12-alternativen-lithium-ionen-batterie.html

Batteriespeicher sind sehr energieeffizient, die Verluste von Ein- und Ausspeichern können unter 20% liegen.

Gasspeicher

Gasspeicher können entweder synthetisch hergestelltes Erdgas oder Wasserstoff speichern. Es können sogar bereits bestehende Speicher auf Wasserstoff umgerüstet werden! Mit Gasspeichern sind im Vergleich zu Batteriespeichern größere Kapazitäten möglich, allerdings leidet die Effizienz – die Umwandlung von Strom zu Synthesegas oder Wasserstoff und wieder zurück ist mit hohen Verlusten behaftet (deutlich höher als die 20% Verlust eines Batteriespeichers). Das Verwenden von Gasspeichern erfordert natürlich auch das Vorhalten von Gaskraftwerken in ausreichender Größe.

Synthetische Kraftstoffe

Benzin (oder Diesel), das mit Hilfe von Strom hergestellt wird – auch als „E-Fuel“ oder „Syn-Fuel“ bezeichnet. Ähnlich wie synthetisches Gas können synthetische Kraftstoffe in bestehenden Tanks gelagert werden, haben eine hohe Energiedichte (wie Benzin und Diesel ja auch), erfordern aber zur Herstellung aus Strom ein Mehrfaches der Energie, die hinterher im Kraftwerk gewonnen werden kann.

Mechanische Speicher

In der Schweiz und in Skandinavien stellt Wasserkraft einen Großteil der Energieversorgung dar. Hier kann unterschieden werden zwischen

  • Laufwasserkraftwerken (Kraftwerk steht an einem Fluß, oft mit Stausee)
  • Pumpspeicherkraftwerken (Kraftwerk steht an einem Stausee, der hauptsächlich oder ausschließlich mit Pumpen gefüllt wird

In Deutschland ist das Potenzial von Wasserkraft geringer und auch mehr oder weniger ausgeschöpft. Im deutschen Stromsystem wird Wasserkraft daher eine untergeordnete Rolle spielen.

Die Nutzung von Laufwasserkraftwerken kann in Zukunft sogar zurückgehen, da die ökologischen Auswirkungen zunehmend kritisiert werden. Die Unregelmäßigkeit von Regenfällen können Wasserkraft ebenfalls negativ beeinflussen (im Alpinen Raum auch der Rückgang von Gletschern).

Weitere mechanische Speicher – rotierende (sich drehende) Massen, oder Massen, die hochgedrückt werden, und beim anschließenden Absenken Energie freisetzen (bis zum Aufschneiden und Hochdrücken von Bergen) existieren bisher nur experimentell oder theoretisch, und werden vermutlich in naher Zukunft keine große Rolle spielen.

Was können wir privat für die Energiewende tun?

Die wenigsten Privatleute können sich ein Windrad oder Wasserstofftechnik auf ihr Grundstück stellen. Es gibt aber privat einige Möglichkeiten:

  • Ausbau von Photovoltaik und Heimspeicher auf dem eigenen Grundstück
  • Befürwortung und konstruktive Mitarbeit an Energiewendeprojekten, auch an Windkraftausbau
  • Investition in Energiewende-Projekte, z.B. durch eine Bürgerenergie-Genossenschaft oder Ähnliches wie die Karben Energie GmbH
  • Energieefizienz im Haushalt, insbesondere beim Heizen aber auch bei Elektrogeräten
  • Elektrifizierung der eigenen Heizung (Wärmepumpe) und des Individualverkehrs (z.B. Elektroauto, Verwendung von Bahn statt Auto)